Bosnien: Kardinal Puljic über die schleichende Existenzbedrohung der Katholiken

02/01/2018 Löwen – Bosnien und Herzegowina ist schon lange keine Schlagzeile mehr wert. Der Krieg endete offiziell mit dem Dayton Vertrag, der 1995 unterzeichnet wurde. Doch die Wunden sind weiterhin spürbar und wirken auf die Lage der Menschen vor Ort bis heute, über 20 Jahre nach dem Krieg. Von einst gut einer halben Million Katholiken wurde im Zuge des Krieges gut jeder Zweite vertrieben, wie es auf der Webseite des Erzbistums Vrhbosna – mit Sitz in Sarajewo – heißt.

Auf die besorgniserregende Situation der Katholiken in seinem Land macht der dortige Erzbischof und Kardinal Vinko Puljic aufmerksam. Die meisten Katholiken sind Kroaten. Sie haben vor dem 17 Prozent der Bevölkerung ausgemacht.

Es wird davon ausgegangen, dass inzwischen jährlich bis zu 10.000 Katholiken auswandern, wie der Kardinal kürzlich in der Katholischen Nachrichtenagentur der Bosnisch-herzegowinischen Bischofskonferenz zitiert wurde. Im Interview mit dem Internationalen Hilfswerk Kirche in Not gibt er einen Überblick zur heutigen Lage der Katholiken.

Wie ist die aktuelle Situation der Katholiken in Bosnien-Herzegowina?

Kardinal Puljić

Kardinal Puljić: Die meisten der Katholiken waren im Zuge des Krieges und der Nachkriegsereignisse aus ihren Häusern vertrieben worden, es wurde viel zerstört und geplündert. Nach dem Krieg gab es weder eine politische noch finanzielle Unterstützung für eine nachhaltige Rückkehr der Vertriebenen. Das Abkommen von Dayton wurde nicht umgesetzt. Leidtragend war die Minderheit der katholischen Kroaten. Für sie ist es schwerer, Rechte durchzusetzen.

Diese Unsicherheit ist heute spürbar bei den Menschen. Einige verlassen deshalb das Land. Sie machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Dazu tragen zusätzlich einige negative Botschaften über die Medien bei, die für eine Verschlechterung der Atmosphäre genutzt werden.

Was bedrückt sie am meisten?

Es gibt keine Gleichberechtigung in den Gebieten, wo die Minderheit der Katholiken von der Mehrheit der anderen Nationalitäten umgeben ist. Diese fehlende Gleichberechtigung äußert sich politisch, administrativ und vor allem wenn es um Arbeitsplätze geht. Mit Blick auf die Zukunft der Katholischen Kirche in Bosnien-Herzegowina stellt sich die ernste Frage nach ihrer Zukunft. Wenn die Kroaten nicht mehr da sein werden, wird es auch keine Katholiken mehr geben, da die meisten Kroaten Katholiken sind. Auch deshalb ist es wichtig, eine Gleichberechtigung herzustellen.

Worin sehen Sie positive Anzeichen?

Die Kirche versucht bei uns so zu leben und zu wirken, als sei alles normal. So versuchen wir Selbstbewusstsein und Hoffnung in die Zukunft zu vermitteln. Das geschieht in der pastoralen und karitativen Arbeit sowie in der Schulbildung. Wir müssen hier „das Salz der Erde“ sein, für Hoffnung, für die Würde des Menschen und die Menschenrechte einstehen.

Wie tragen Christen zur Bewältigung der Kriegsereignisse und ihrer Folgen in Bosnien-Herzegowina bei?

Es ist eine große Gnade, aus dem Glauben zu leben. Hoffnung und Kraft schöpfen wir aus dem gemeinschaftlichen und persönlichen Gebet. Ein wichtiger Stützpunkt sind die Sonntagsmessen und unsere Wallfahrten. Wir haben zum 100-jährigen Jubiläum der Erscheinungen in Fatima jede Pfarrei und das gesamte Erzbistum der Mutter Gottes geweiht.

Jesus kam in unsere Wirklichkeit als Mensch. Deshalb sollen wir Weihnachten in der Realität erleben. In der Geburt Jesu als Kind sind wir aufgerufen, Gottes Liebe zu erkennen und die wahre Quelle der Freude: Denn wir alle sind geliebte Wesen.  So wie Gott als Emmanuel, als „Gott sei mit uns“, den Menschen nah geworden ist, so sollen auch wir Menschen uns untereinander und Gott näher kommen.

Es geht darum, die Wunden dadurch zu heilen, dass man sich untereinander verzeiht und sich mit Freude der Liebe Gottes anvertraut.

Das internationale Hilfswerk Kirche in Not half mit gut 12 Million Euro seit über zehn Jahren in Bosnien-Herzegowina bei pastoralen Projekten und beim Wiederaufbau von Kirchen und kirchlichen Gebäuden, die durch den Krieg und die Folgen zerstört oder renovierungsbedürftig geworden sind: So beteiligt sich das Werk zum Beispiel an der Erneuerung der Katholischen Theologischen Fakultät im Gebäude des Priesterseminars in Sarajevo und an der Erzdiözese Vrhbosna in Sarajevo. Weitere Projekte fördern neue Kirchen sowie die Instandsetzung von Pfarrhäusern und Unterkünften von Ordensschwestern. Darüber hinaus wurden Fahrzeuge zum Beispiel für das „Geistliche Zentrum“ in Livno und das Kloster „Novi Nazaret“ in Banja Luka (16.000 Euro) angeschafft, der Wiederaufbau des Pastoralzentrums „Sveti Josip“ in Turbe (20.000 Euro) vorangebracht und die Ausbildung von Novizinnen und Seminaristen unterstützt (125.000 Euro).

Von Karla Sponar

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