Haiti braucht einen neuen Menschen, der in der heutigen Gesellschaft christlich lebt.

Mgsr. Launay Saturné

13/11/2018 Leuven – Interview mit Launay SATURNÉ, dem Vorsitzendem der Bischofskonferenz von Haiti, der seit dem 23. September 2018 Erzbischof von Cap-Haïtien ist, anlässlich seines Besuchs am internationalen Sitz der Stiftung Kirche in Not.

Das Land wurde im Oktober erneut von einem Erdbeben heimgesucht. Es wird aber auch intern von Korruptionsfällen erschüttert, die bis in die Staatsspitze reichen. Am 22. Oktober 2018 entließ Haitis Präsident Jovenel Moïse zwei seiner engsten Mitarbeiter, darunter auch seinen Stabschef, die in Skandale mit persönlicher Bereicherung verwickelt waren.

Eine große Mehrheit der 11,5 Millionen Haitianer bekennt sich zum katholischen Glauben. Dem stehen 2,7% Agnostiker und 2,7% Animisten entgegen. Allerdings spiegeln diese Zahlen keineswegs die religiöse Wirklichkeit wider, bei der ebenfalls der Einfluss des Voodoo in der Gesellschaft berücksichtigt werden muss.

Wie haben die Bischöfe auf die letzten Korruptionsfälle reagiert, die ja das Land erschüttern?

Die katholische Hierarchie hat von der Haitischen Bischofskonferenz (CEH) aus immer sowohl in seinem Glauben als auch in seinem täglichen Kampf um Menschenwürde das Volk begleitet. Die jetzige Reaktion der Bischöfe steht in diesem Zusammenhang. In einer CEH-Stellungnahme haben wir öffentlich die Korruption angeprangert, weil sie eine Geißel, ein Übel ist: „Sie verbreitet sich, sie wird zu einem System. Sie verursacht Schäden, die schwer wiedergutzumachen sind. Die Situation ist nicht neu, aber diesmal erreicht sie unannehmbare und unzumutbare Dimensionen.“ Wir stellten eine positive Reaktion der Gesellschaft auf diesen Skandal fest: „Interessant ist es, dass dieser Skandal ein kraftvolles, gesundes Kollektivbewusstsein entstehen lässt. Das Volk verlangt einstimmig Gerechtigkeit. Es ist sich bewusst, dass die Korruption ein Grundübel ist, das seine gemeinsame Zukunft bedroht.“ Alles weist darauf hin, dass die Gelder, die für die Entwicklung, für das Wachstum im Land und dafür bestimmt waren, uns vom Elend in allen seinen Ausdrucksformen zu befreien, unterschlagen und veruntreut wurden. Jeder weiß, wie nützlich diese Gelder für den Wiederaufbau des Landes, für eine Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen der Bevölkerung sind. Als Bischöfe und Hirten wandern wir gemeinsam mit dem Volk Gottes, das unserer väterlichen und seelsorglichen Obhut anvertraut ist.

Welche Maßnahmen trifft die katholische Kirche in Haiti in diesem Zusammenhang?

Die Kirche muss immer ihrem göttlichen Stifter treu bleiben. Aus dieser Treue heraus können wir weiterhin glauben, lieben und hoffen, wie das Evangelium es uns aufträgt. In diesem Zusammenhang besteht unsere erste Handlung als hierarchisch verfasste Kirche darin, weiter mit dem Volk zusammen zu schreiten, so wie wir es als Hirten tun sollen. Darüber hinaus sollen wir diesem Volk helfen, sich in der Katholischen Soziallehre fortzubilden, damit es sich seiner Rolle in dem Engagement für eine verantwortungsvolle Führung der Allgemeinheit bewusster wird. Schließlich ist die Verkündigung des Evangeliums an sich ein Sauerteig, der die Herzen und die Situationen von innen her verwandelt, so wie der Sauerteig das Mehl durchsäuert (Matthäus 13,33). Aus all dem setzt sich der Gesamtplan für Evangelisierung, Erziehung und Bildung zusammen, den die Kirche allen gläubigen Laien zur Verfügung stellen möchte, damit sie vorbereitet und motiviert werden, ihre Verantwortung in der Gesellschaft und im Land zu übernehmen.

All dies entwickelt sich jedoch zunächst einmal in der Familie und in der Schule. Diese Orte sind für uns außerordentlich wichtig. Über die bloße verstandesgemäße Bildung hinaus sollen Familie und Schule den Kindern und jungen Erwachsenen die Liebe zu Gott, die Nächstenliebe, die Liebe zum Vaterland, Achtung vor dem Gemeinwohl, Bürgersinn und Patriotismus beibringen. Für die Kirche ist Erziehung eine Priorität, eine dringende Angelegenheit. Deshalb zählt sie auf Pfarrschulen, um den benachteiligten Schülern in abgelegen Regionen des Landes – dort, wo der Staat abwesend ist – das „Brot der Bildung“ zu bringen. Zahlreiche Priester und Bischöfe kommen aus solchen Bildungseinrichtungen. Dazu kommen noch die von Ordensleuten geleiteten Schulen. Sie besitzen den Ruf, die besten Schulen des Landes zu sein. Und sie sind es tatsächlich. Tatsächlich sind wir dabei, viele Mängel des Staates in diesem und in anderen Bereichen zu beheben.

Wir führen auch punktuelle Aktionen durch, um Menschen in Not zu helfen. Das tun wir auch für die Opfer des Erdbebens vom 6. und 7. Oktober 2018. Denn wir müssen ihnen helfen, damit sie ihre Häuser wiederaufbauen und ihr psychisches Gleichgewicht wieder finden können.

Die Erzdiözese Cap-Haïtien verfügt über mehr als 80 Hektar Ackerboden guter Qualität, die wir gemäß dem Geist der Enzyklika Laudato si‘ von Papst Franziskus umweltbewusst bebauen wollen. Die Studenten der Fakultät für Agrarwissenschaft der UDERS von Cap-Haitien (ein Zweig der Universität Notre Dame de Haiti) können dort wichtige Experimente durchführen. Darüber hinaus kann die Bewirtschaftung dieser Ländereien dazu helfen, die Arbeitslosenquote zu senken, die lokale Produktion zu fördern, die Arbeiter davon zu überzeugen, dass sie zu Hause bleiben, um dort mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie bauen bereits Bohnen und Mais an, und sie betreiben Viehzucht. Dank eines Brunnens in einer dieser Ländereien können wir uns mit Wasser versorgen, so dass wir Erfolgsaussichten haben. Unser Heiliger Vater Papst Franziskus schreibt in seiner Enzyklika Laudato si’, dass die Armut durch den Umweltschutz zu bekämpfen ist. Wir möchten diese Anweisung wortwörtlich in die Tat umsetzen.

Unterhalten Sie gute Beziehungen zu den Mitgliedern der anderen christlichen Konfessionen?

Wir haben gute Beziehungen zu den Haitianern aller christlichen Konfessionen. Wir arbeiten seit geraumer Zeit mit ihnen zusammen. Unsere Begegnung basiert auf wichtigen, gemeinsamen Werten. Dies wird besonders deutlich im Umweltbereich, denn wir teilen uns dieselbe Umwelt. Hier sind wir alle betroffen. Aus Anlass der Veröffentlichung der Enzyklika Laudato Si‘ haben wir eine Feier veranstaltet, zu der Vertreter der evangelischen Christen, Atheisten und Voodoo-Anhänger kamen. Die Ökologie hat keine Religion, sie betrifft uns alle!

Die Umweltprobleme klopfen bei uns in Haiti häufig an. Sie wecken uns. Unser Land ist sehr anfällig für Naturkatastrophen. Dennoch weigere ich mich, dass es „verdammtes Land“ genannt wird. Gott übergab die Erde den Kindern Adams, damit sie sie bebauen. Der Ursprung unseres Glücks reicht tiefer, er kommt aus dem liebenden Herzen des Schöpfers. Die Geographie kann allein nicht über unser Glück und Unglück entscheiden. Im Gegenteil: Wir sehen uns als von Gott gesegnete und geliebte Kinder.

Wie ist die Lage der Kirche in Haiti?

Wir sind ein praktizierendes Volk. Die Kirchen sind voll. Der Klerus begleitet die Menschen, um ihnen zu helfen, ein christliches Leben zu führen und Tag für Tag ihren Glauben zu leben. Wir freuen uns über die vielen Berufungen. Im interdiözesanen großen Priesterseminar haben wir 102 Philosophie- und 182 Theologiestudenten. Die Zukunft der Kirche ist, was das Personal betrifft, gar nicht ungewiss. Die Bischöfe von Haiti und die Ausbilder begleiten die Seminaristen, damit sie Priester werden, die im Einklang mit dem Herzen Gottes leben. Das Erdbeben von 2010 zerstörte zwei Gebäude, die der Ausbildung im großen Priesterseminar von Notre Dame de Haiti dienten. Nun suchen die Bischöfe Unterstützung, um dieses nationale große Priesterseminar an einem einzigen Ort wiederaufzubauen. Die Kosten belaufen sich auf neun Millionen Dollar. Wir bitten Organisationen, Partnerkirchen, Bischofskonferenzen, Bistümer aus Haiti und anderen Ländern um Hilfe, um dieses Projekt voranzutreiben. Es gehört zu den Prioritäten und den dringenden Anliegen der Kirche in Haiti. Wir brauchen noch drei Millionen Dollar, damit wir 2019 mit dem Wiederaufbau dieser Ausbildungsstätte beginnen können. Die Haitianische Bischofskonferenz stuft das Projekt als Priorität ein.

Möchten Sie ein Wort an die Kirche in Not-Wohltäter richten?

Danke, natürlich! Vielen Dank für die Spenden, aber auch für die Besuche der Vertreter von Kirche in Not in Haiti und in meinem Erzbistum. Danke, dass Sie uns dabei helfen, das wiederaufzubauen, was 2010 durch das Erdbeben zerstört wurde. Wir beten jeden Tag für das körperliche und geistliche Wohl der Kirche in Not-Wohltäter sowie der Verantwortlichen in der Stiftung. Der Wiederaufbau ist noch nicht zu Ende. Aber inzwischen haben uns weitere Unglücke heimgesucht. Die Kirche in Haiti braucht liebende Herzen und großzügige Menschen, um ihre Seelsorge- und Evangelisierungsarbeit zu unterhalten. Wir sind Kirche in Not für ihre geistliche Nähe sowie für ihre wirksame und effiziente Solidarität mit Haiti und mit seiner Kirche sehr dankbar.

Von Thomas Oswald

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