Aufbau der philippinischen Stadt Marawi wird Jahre dauern

09/04/2018 Löwen – Reinhard Backes reiste für das Hilfswerk „Kirche in Not“ in die philippinische Stadt Marawi. Die dort lebende christliche Minderheit wurde monatelang von Islamisten unterdrückt. Ein Gespräch über die Beziehungen von Christen und Muslimen in der Region und den Umgang mit den Folgen des Konflikts.

Was ist in Marawi in den vergangenen Monaten geschehen?

Die Stadt ist ein Zentrum muslimischen Glaubens auf Mindanao, der zweitgrößten mehrheitlich jedoch christlich geprägten Insel der Philippinen. Und ausgerechnet diesen Ort haben sich islamistische Extremisten als Angriffsziel ausgesucht. Begonnen hat alles am 23. Mai 2017. Das philippinische Militär hatte eine Operation geplant, um Führer des so genannten „Islamischen Staates“ in der Region zu verhaften. Dem sind die Extremisten zuvorgekommen und haben den historischen Stadtkern von Marawi besetzt, bis weit in den Oktober hinein. Letztlich wurde der Konflikt mit Gewalt gelöst. Die Armee hat das Stadtzentrum massiv bombardiert.

Handelte es sich eher um einen spontanen Überfall oder war die Besetzung schon länger geplant?

Offenbar waren die Angreifer gut vorbereitet und über die geplante Militäroperation gut informiert. Möglicherweise wurden sie sogar von Militärs gewarnt. Das ist, wie vieles, aber Spekulation, weil detaillierte Informationen über den Ablauf des Angriffs auf Marawi nach wie vor fehlen. Bei meinem Besuch in der Stadt Anfang März wurde mir erklärt, dass ein Großteil der Extremisten Indonesier gewesen sind. Über das Meer ist Mindanao von Indonesien aus leicht zu erreichen. Für das Militär war und ist es offenbar schwer, den Seeweg zu kontrollieren. Beobachter meinen, dass die Armee auf eine derartige Bedrohung gar nicht vorbereitet war.

Hatten die Islamisten Unterstützung von Seiten der Bevölkerung?

Man muss wohl davon ausgehen, dass sie in der Tat ein gewisses „Backing“ von Seiten der Bevölkerung hatten. Denn offenbar nutzten die Extremisten ein Tunnelsystem, in dem sie sich unterirdisch bewegen konnten. Und derlei entsteht ja nicht über Nacht.

Medien berichteten, dass Christen, unter ihnen auch ein Priester, als Geiseln genommen wurden?

Es sind viele Geiseln genommen worden, der Großteil davon Christen. Offenbar war eines der ersten Angriffsziele der Extremisten in der Stadt die katholische St.-Marien-Kathedrale. Vermutlich wollten sie den Bischof von Marawi, Edwin de la Pena, als Geisel nehmen, der zu dem Zeitpunkt aber nicht im Stadtzentrum war. Statt dessen nahmen sie dann den Generalvikar, Teresito Suganob, und weitere Gläubige gefangen. Die Islamisten haben aber auch Muslime als Geiseln genommen, denen sie vorwarfen, mit den Christen zu kollaborieren.

Wurden in der St.-Marien-Kathedrale Schändungen oder Entweihungen vorgenommen?

Ja, die Kirche ist im Grunde völlig zerstört, auch sämtliche Figuren, Marienstatuen oder Kruzifixe. Ich habe eine geköpfte Marienstatue gesehen. Der Kopf wurde wohl verbrannt. Nur noch der bekleidete Korpus war vorhanden. Architektonisch ist die Kathedrale eher einfach, eine Art Hallenbau. Marawi ist mehrheitlich muslimisch, eine allzu auffällige christliche Kirche war da nicht erwünscht. Die katholische Gemeinde dort umfasst auch nur wenige 1.000 Mitglieder, die jetzt erst einmal zerstreut sind.

Wie war das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen vor dem Einfall der Islamisten?

Wie in anderen Ländern, etwa in Pakistan, bemühen sich Christen dort, wo sie nur eine kleine Minderheit unter Muslimen sind, um gute Beziehungen zu ihren muslimischen Nachbarn. So kenne ich das zumindest von katholischer Seite. In der Regel pflegen die Christen deshalb auch enge Kontakte zu den muslimischen Autoritäten, auch in Marawi war das nicht anders. Auf Seiten der Muslime war es wohl auch so, denn die Mehrheit wollte einfach nur friedlich mit ihren Nachbarn zusammenleben. Deshalb waren die Beziehungen zumeist freundschaftlich. Jetzt herrscht allerdings ein gewisses Misstrauen.

Wie geht der Bischof von Marawi, Edwin de la Pena, mit der Situation um?

Bischof de la Pena ist sehr um einen Ausgleich bemüht. Der Aufbau der Kathedrale hat für ihn deshalb auch keine Priorität. Das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und zwischenmenschliche wie auch interreligiöse Beziehungen wieder aufzubauen, ist für ihn das Wichtigste.

Gibt es bestimmte Projekte, mit denen man versucht, diese Ziele zu erreichen?

Die Diözese hat einige Initiativen ins Leben gerufen, darunter ein Rehabilitationszentrum, das über 200 Menschen Beistand bietet, die monatelang gefangen gehalten wurden und körperliche und seelische Qualen erlitten haben. Dort werden Christen wie Muslime gleichermaßen betreut. In Gruppentherapie, aber auch in Einzelgesprächen werden Frauen behandelt, die vergewaltigt wurden, auch solche im Mädchen- und Teenageralter. Oder Männer, denen Gewalt widerfahren ist, die geschlagen wurden – bis hin zu Kindern, die nach diesen schrecklichen Erfahrungen in die Normalität zurückgeführt werden müssen.

Und Sie erwähnten ein weiteres Projekt…

Das nennt sich „Youth for Peace“, also „Jugend für den Frieden“, und ist ebenfalls eine Initiative der Ortskirche. 184 überwiegend muslimische Studentinnen und Studenten der Mindanao State University besuchen im Rahmen dieses Projekts Flüchtlingslager. Aus dem Stadtkern sind im Zuge des Konflikts ja Zigtausend geflohen und leben nun in Lagern um die Stadt herum. „Youth for Peace“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Flüchtlingen zu helfen, ihnen zu zeigen, wir sind für euch da, wir wollen das, was wir mal hatten, nämlich ein friedliches Zusammenleben, wieder ermöglichen: Darum geht es den Studenten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Flüchtlinge Christen oder Muslime sind.

In welcher Form unterstützt „Kirche in Not“ diese Projekte?

Schon während des Konflikts hat „Kirche in Not“ Notfallhilfe für die Flüchtlinge geleistet. Jetzt wollen wir helfen, damit das Rehabilitationszentrum weitergeführt werden kann. Zudem unterstützen wir das „Duyog Marawi“-Peace Corridor Programm der Ortskirche zu dem auch „Youth for Peace“ gehört. Bisher wurden dafür zwei Fahrzeuge bereitgestellt, ein Van und ein Transporter. Weitere Hilfe ist geplant. Zudem diskutieren wir auch Hilfe für die Unterbringung der Flüchtlinge, die ja seit Monaten in Zelten leben. Bei tropischen Temperaturen von weit über 30 Grad ist es darin kaum auszuhalten. Dann regnet es andererseits auch wieder, manchmal heftig. Zelte sind also keine Dauerlösung. Es gibt Überlegungen, stattdessen kleine, provisorische Häuser zu bauen, die dann erst einmal ausreichen sollten. Daran wird sich „Kirche in Not“  möglicherweise beteiligen.

Gibt es eine realistische Hoffnung, die Stadt in den nächsten Jahren wieder aufzubauen?

Der Wiederaufbau wird definitiv viele Jahre dauern. Ich habe noch nie einen so zerstörten Stadtkern gesehen, wie den von Marawi. Und seit dem Ende der Kämpfe im Oktober letzten Jahres ist nicht viel passiert. Das Militär sagt, dass erst einmal alle Blindgänger, Munitionsreste und Sprengfallen, die die Extremisten hinterlassen haben könnten, entfernt werden müssen.

Was ist das Fazit Ihrer Reise?

Es ist einerseits dramatisch zu sehen, wie Islamisten eine ganze Stadt, eine gewachsene Kultur benutzt und zerstört haben, also wohin ideologische Verblendung führt. Andererseits haben mich die Menschen in Marawi sehr überrascht. Ihre Lage ist zwar katastrophal, aber sie haben Hoffnung, sie packen an. Ich habe erfahren, wie wichtig ihnen der christlich-katholische Glaube ist, das selbstlose Konzept der Nächstenliebe, das sich in konkreter Hilfe für die Opfer zeigt. Und die jungen Freiwilligen, Muslime wie Christen, sind sehr offen miteinander umgegangen, was sehr ermutigend ist. Sie haben fast unisono gesagt, dass ihr gemeinsamer Einsatz sie dazu geführt hat, die Überzeugungen der anderen besser zu verstehen, dass sie gleichzeitig aber auch in ihrer eigenen Identität gefestigt wurden.

Von Maximilian Lutz & Die Tagespost

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