Ein Bild der Hilflosigkeit an der venezolanischen Grenze

11/06/2018 Leuven – Nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Venezuela reißt die Flut der Auswanderer nicht ab, die in anderen Ländern nach besseren Lebensbedingungen suchen. Es besteht weiterhin eine große Not, um die Tausenden Venezolaner zu betreuen, die tagtäglich die kolumbianisch-venezolanische Grenze überschreiten.

Auf der Internationalen Brücke Simón Bolívar, die beide Städte San Antonio del Táchira in Venezuela und San José de Cúcuta in Kolumbien miteinander verbindet, gestalten sich die Kontrollen für diejenigen mühsam, die das von der schweren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise erschütterte Land verlassen wollen. Viele schaffen es nicht, die Grenze zu passieren. Deshalb irren sie in der Grenzstadt auf der Suche nach humanitärer Hilfe umher.

So ergeht es beispielsweise Fernando und Marisela zusammen mit ihren zwei Kindern, dem 3-jährigen Luis und der 7-jährigen Camila. Sie kamen aus Caracas an die Grenze mit dem Ziel, Ecuador zu erreichen. Probleme im Zusammenhang mit den Ausweispapieren der Minderjährigen verhinderten jedoch, dass sie das Land verlassen konnten.

„In der Hauptstadt ist das Leben schwierig geworden. Es ist besser auszuwandern“, sagt Fernando. Da sie über kaum Geldmittel verfügen, übernachten sie zusammen mit anderen Migranten auf dem Gemeindeplatz. Sie arbeiten schwarz, während sie nach einer Lösung suchen, damit sie ihre Reise fortsetzen können.

Laut einem am 14. Mai veröffentlichten Bericht der Internationalen Organisation für Migration stieg die Zahl der venezolanischen Einwanderer in Lateinamerika und den Karibik-Ländern im Zeitraum 2015–2017 von 89.000 auf 900.000 Menschen – ein Zuwachs von mehr als 900%.  Darin sind nicht einmal die Migranten berücksichtigt, die auf nicht offiziellen Wegen nach Kolumbien oder Brasilien gelangten.

Für den Bischof Mario Moronta von der Diözese San Cristóbal in Venezuela ist die Lage an der Grenze „das Bild der Hilflosigkeit so vieler Venezolaner, die nicht über den für das tägliche Leben nötigen, grundlegenden Bedarf an Lebens-, Arzneimitteln und ähnlichen Dingen verfügen“.

Angesichts der Lage „sucht die vom Heiligen Geist angetriebene und geführte Kirche“, so der Bischof, „nach Lösungen im Einklang mit der Nächstenliebe und der Mitmenschlichkeit, um für die Migranten alles zu tun, was wir nur können.“

Hunderte passieren täglich die Grenze zu Fuß über diese Brücke. Denn sie ist seit August 2015 für den Autoverkehr geschlossen. Die einen wollen in andere südamerikanische Länder weiter, andere gehen nach Cúcuta, um in dieser Stadt nach Lebens- und Arzneimitteln zu suchen, und kehren dann nach Venezuela zurück. Wiederum andere bleiben im Grenzbereich, und suchen nach gelegentlichen Arbeitsmöglichkeiten.

So zum Beispiel der 18-jährige Andrés Vargas, der aus Barquisimeto kam, und nach Chile weiterreisen wollte. Allerdings reichte das Geld nicht mehr, so dass er sich entschloss, an der Grenze zu bleiben. „Hier verdiene ich etwas Geld, indem ich Reisende zum Ticketverkauf führe. Damit kann ich etwas zu essen kaufen, und manchmal reicht es auch zum Übernachten“.

Andere können nach einer langen Reise nicht über die Grenze, weil der Grenzübergang von 20 Uhr bis 6 Uhr geschlossen ist. Dies geschah der aus Vater, Mutter und drei kleinen Töchtern bestehenden Familie Fonseca. Sie kamen nach einer 12 Stunden langen Busreise aus Valencia in San Antonio an, als der Grenzübergang geschlossen war. Sie mussten die Nacht unter freiem Himmel, einfach auf der Straße verbringen. „Eine solch schreckliche Nacht kann ich mit nichts anderem vergleichen, was wir in den letzten Jahren erlebt haben“, sagt Carlos Fonseca.

Der Priester Reinaldo Contreras ist Rektor der Basilika San Antonio de Padua, wenige Meter von der Grenze entfernt. Im Gespräch erklärt er, dass die Kirche auf diese Situation mit der Sozialseelsorge reagiert. „Allerdings trifft sie auf große Schwierigkeiten wegen der Knappheit an Lebensmitteln und deren hoher Preise. Darüber hinaus fehlt es an Infrastruktur, um die Migranten richtig zu betreuen.“

Die Pfarreien an der Grenzachse führen täglich Armenspeisungen durch, um den Verwundbarsten etwas Essen anzubieten. Der Geistliche fügte hinzu, zurzeit werde die Möglichkeit geprüft, eine Art „Haus des Migranten“ einzurichten, um ihnen eine ganzheitliche Hilfe anbieten zu können.

Beim Grenzübergang erhalten viele Migranten Unterstützung durch das „Durchgangshaus der Göttlichen Barmherzigkeit“ der Diözese Cúcuta. Dort werden den Migranten ärztliche Behandlung und seelsorgliche Betreuung angeboten. Jeden Tag werden mehr als Tausend Essensrationen ausgegeben.

Bischof Victor Manuel Ochoa von Cúcuta beschrieb im Gespräch mit dem Päpstlichen Hilfswerk Kirche in Not die Lage als ein „schmerzliches Drama“. Er bittet um Gebet: „Die Kirche ist an der Grenze präsent. Wir möchten die Hand sein, die den notleidenden venezolanischen Brüdern und Schwestern gereicht wird. Ich denke an Pater Werenfried, den Gründer von Kirche in Not, der 1947 unter Flüchtlingen Lebensmittel verteilte. Wir möchten in seine Fußstapfen treten. Ich bitte Sie darum, für Venezuela und für Kolumbien zu beten, damit wir den Weg zu Frieden und Versöhnung finden.“

Kirche in Not besuchte kürzlich die Stadt San Antonio de Tachira in Kolumbien, um den Diözesen an der venezolanisch-kolumbianischen Grenze in der schwierigen Zeit Hilfe anzubieten und Solidarität zu bekunden. Außerdem wurde die Möglichkeit einer künftigen Unterstützung für das „Haus des Migranten“ geprüft.

Von Johan Pacheco

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