Nicaragua: Ohne die Mitarbeit der Kirche gibt es keinen Ausweg aus der jetzigen Krise

29/01/2019 Leuven – Der Lateinamerika-Referent bei Kirche in Not, Marco Mencaglia besuchte im November Nicaragua. Zweck der Reise war es, die Lage des Landes aus der Nähe kennenzulernen, sowie zu beurteilen, auf welche Weise die Päpstliche Stiftung mit der Lokalkirche bisher zusammengearbeitet hat und weiterhin zusammenarbeiten kann.

Letztes Jahr erlebte Nicaragua eine Zeit intensiver und gewalttätiger Zusammenstöße zwischen der Regierung und oppositionellen Gruppen, die etwa drei Monate andauerte: Vom 18. April bis Mitte Juli. In diesem Zeitraum fielen den Zusammenstößen Hunderte Menschen zum Opfer – die meisten waren junge Protestteilnehmer. Die genaue Opferzahl ist jedoch umstritten: Die Regierung spricht von 150 Toten, andere Quellen gehen von mehr als 500 aus.

Die Kirche spielte eine entscheidende Rolle, zu verhindern, dass bei den Zusammenstößen zwischen bewaffneten Regierungskräften und den Protestierenden – in der Mehrzahl Studenten – noch mehr Tote und Verletzte zu beklagen waren.

„Die Kirche in Nicaragua wiederholt unter anderem immer wieder, dass der einzige Ausweg im Dialog sowie in der Unterstützung eines Prozesses besteht, der die Rechtssicherheit gewährleistet und die Energie junger Menschen zum Wohle des Landes kanalisiert. Es sollen neue Konflikte vermieden und alle relevanten Sozialakteure des Landes miteinbezogen werden“, so Mencaglia in einem nach seinem Besuch in dem mittelamerikanischen Land geführten Interview. „Ich möchte sogar behaupten, dass es ohne die Mitarbeit der Kirche keinen friedlichen Ausweg aus der jetzigen Situation gibt. Die Kirche spielt weiterhin eine entscheidende und einzigartige Rolle auf geistlicher und sozialer Ebene in Nicaragua, auf dem schwierigen Weg, die tiefen Wunden aus dem Konflikt von April-Juli zu heilen.“

Außerdem betonte Mencaglia die schwierige Lage, in der sich junge Katholiken befinden. Viele hätten ihm während seines Besuches gesagt: „Jung und katholisch zu sein, ist heute in Nicaragua schon eine Gefahr an sich.”

Wie ist die jetzige Lage in Nicaragua?

Obwohl es offiziell seit Juli zu keinen weiteren schweren Zusammenstößen gekommen ist, lebt das Land in einem Klima höchster Spannung. Noch ist das Schicksal der jungen Menschen nicht entschieden, die politischen Gründen, die mit der Niederwerfung der Proteste zusammenhängen, noch immer zu Hunderten im Gefängnis sitzen. Darüber hinaus beeinträchtigen leisere Formen der Diskriminierung das Leben im Land.

Was für eine Rolle hat die katholische Kirche in dieser Zeit gespielt?

Viele Menschen beklagen, dass grundlegende Voraussetzungen fehlen, damit das Land als demokratisch bezeichnet werden kann. Die Rolle der katholischen Kirche ist für eine friedliche Lösung des Konflikts wesentlich, weil ihre Präsenz in der Gesellschaft tief verankert ist.

Nach den ersten Protesten bat die Regierung die Kirche um eine Vermittlerrolle. Nach acht Sitzungen wurde allerdings auf Initiative der Regierung der Dialog unterbrochen. Aus Regierungskreisen wurde eine heftige Kampagne inszeniert, um die katholische Kirche zu diskreditieren. Es wurden starke Anschuldigungen gegen die Kirchenführung erhoben und die Katholiken als „Putschisten“ und „Terroristen“ bezeichnet. Gleichzeitig wurden Maßnahmen ergriffen, um die Worte und Taten der Priester zu überwachen. So werden etwa die Sonntagspredigten sorgfältig abgehört und der Regierung durch Vermittler weitergeleitet. Es ist darüber hinaus von teilweise gewalttätigen, konkreten Diskriminierungsmaßnahmen auf lokaler Ebene gegen Menschen die Rede, die verdächtigt werden, in irgendeiner materiellen Form die Proteste unterstützt zu haben, selbst wenn sie nicht unmittelbar an den Zusammenstößen beteiligt waren.

Bei unserem Besuch haben wir vielfach den Satz gehört: „Jung und katholisch zu sein, ist heute in Nicaragua schon eine Gefahr an sich.”

Was hat Sie bei Ihrer Reise am meisten beeindruckt?

Der Mut der Kirche, um in den Monaten des Konflikts weitere Gewalt zu verhindern. In vielen Regionen des Landes haben die Organisatoren der Proteste die wichtigsten Landstraßen gesperrt, und dadurch wochenlang das Leben im Land zum Stillstand gebracht. Wir haben zahlreiche Fotos gesehen, auf denen in besonders angespannten Situationen Priester mit erhobenen Händen zwischen den bewaffneten Regierungskräften, die gerade mit Gewalt die Straßenblockaden auflösen wollten, und den zum Widerstand entschlossenen Protestierenden, stehen. Dadurch, dass diese in der Mehrzahl jungen Priester ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, haben sie viele junge Menschen auf beiden Seiten des Konflikts vor dem Tod bewahrt. Sie haben einen gewalttätigen Ausgang der Straßensperren verhindert. Viele Kirchen haben außerdem Hunderte Verletzte aufgenommen, und im Kirchenraum improvisierte Lazarette errichtet.

Trotz der Kampagne, um die Kirche zu diskreditieren, ist laut kürzlich durchgeführten unabhängigen Recherchen die Glaubwürdigkeit der Institution Kirche weiterhin sehr hoch. In so gut wie dem ganzen Land wächst die Zahl der Priesterberufungen. Verschiedene Bistümer gründen jedes Jahr neue Pfarreien. Andere erhöhen die Zahl der Ausbildungszentren für Laien. Die Nachfrage nach der Teilnahme an von der Kirche veranstalteten Bildungskursen wächst ebenfalls. Das jüngste errichtete Bistum in Mittelamerika befindet sich in Nicaragua: Siuna, gegründet Ende 2017.

Was für einen Ausweg gibt es aus der Krise?

Die Kirche in Nicaragua erklärt immer wieder, dass der einzige Ausweg im Dialog sowie in der Unterstützung eines Prozesses besteht, der den Respekt der grundlegenden Regeln einer Demokratie – freie und korrekte Wahlen – sichert und die Energie junger Menschen zum Wohle des Landes kanalisiert. Es sollen neue Konflikte vermieden und alle relevanten Sozialakteure des Landes miteinbezogen werden. Ich möchte sogar behaupten, dass es ohne die Mitarbeit der Kirche keinen friedlichen Ausweg aus der jetzigen Situation gibt. Die Kirche spielt weiterhin eine entscheidende und einzigartige Rolle auf geistlicher und sozialer Ebene in Nicaragua, auf dem schwierigen Weg, die tiefen Wunden aus dem Konflikt von April-Juli zu heilen.

Was braucht die Kirche in Nicaragua? 

Die Lokalkirche muss zunächst einmal die Einheit bewahren. Die Bischöfe haben über alle Unterschiede in der persönlichen Biografie, der Haltung und dem Seelsorgekontext hinaus stets eine bewundernswerte Gemeinschaft untereinander bewahrt. Es tut not, für die Menschen zu beten, die sich aus politischen Gründen von der Kirche entfernt haben, damit sie die Gemeinschaft mit der Kirche wieder erlangen. Es handelt sich um schwierige Prozesse, die trotz aller Probleme im Stillen vorangehen. Die Kirche in Nicaragua braucht auch die Solidarität der Weltkirche durch das Gebet und eine ständige Aufmerksamkeit in dieser so brenzligen Zeit.

Wie kann Kirche in Not durch die Mitarbeit ihrer Spender helfen?

Wegen des bemerkenswerten Wachstums an Priesterberufungen hat die Kirche in Nicaragua beschlossen, ab 2019 neue Philosophie-Seminare für Priesteramtskandidaten auf regionaler Ebene einzurichten. Sie sollen die bestehenden Diözesanseminare in Managua und Granada sowie das nationale Priesterseminar von Managua ergänzen, in dem die Studenten der fünf anderen Landesbezirke weiterhin ihr Theologiestudium absolvieren werden. Die neuen, improvisierten Priesterseminare brauchen würdige Räumlichkeiten, um die jungen Studenten aufzunehmen.

Kirche in Not begleitet außerdem den Prozess zur Gründung neuer Pfarreien in verschiedenen Bistümern des Landes mit dem Bau kleiner Kirchen und Pfarrhäuser. Sie entstehen an abgelegenen Orten, und die Gemeinden freuen sich darüber, , dass erstmals ein Priester ständig bei ihnen lebt. Wir haben feststellen können, wie in Nicaragua die Anwesenheit eines Priesters vielfach das Leben eines Dorfes verändert: Über seinen liturgisch-sakramentalen Dienst hinaus stellt der Priester oft einen Orientierungspunkt für den Alltag in der ganzen Gemeinde dar.

Ein weiteres Feld der Unterstützung ist die Ausbildung junger Laien. Die jungen Katholiken – darauf haben wir schon hingewiesen – wurden zum Ziel der schwersten Angriffe während der Proteste. Sie wurden ihrer Rechte beraubt, bedroht, ins Gefängnis geworfen und geschlagen. Viele von ihnen sind aus dem Land geflüchtet, um im Ausland Zuflucht zu suchen. Zahlreiche weitere junge Menschen haben aufgrund der Wirtschaftskrise ihre Arbeit verloren, und haben keine Zukunftsaussichten. Diese jungen Menschen müssen wir ansprechen, damit ihre Wunden heilen und sie trotz  Leiden und Wut die Liebe Gottes entdecken können.

Von Marco Mencaglia

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