Weihnachtsgeschichte: „Der weiße Briefumschlag“

Kirche in Not verteilt dieses Jahr Weihnachtsgeschenke an 17.806 christliche Kinder in Syrien. In vielen Familien von Aleppo, Homs, Hassakeh, Damaskus oder Horan ist es das einzige Geschenk.

Es war nur ein kleiner weißer Briefumschlag, der in den Zweigen unseres Christbaumes steckte: kein Name, keine Bestimmung, keinerlei Angabe. Es begann damit, dass mein Ehemann Mike den besinnungslosen Rummel an Weihnachten nicht ausstehen konnte, die Geschäftemacherei, die Mehrausgaben, das hektische Suchen und Rennen, um noch in letzter Minute eine Krawatte für Onkel Harry und den Gesichtspuder für Großmutter zu finden – eben jene Geschenke, die man in seiner Verzweiflung macht, weil man keine andere Idee hat.

Da beschloss ich einmal vor Weihnachten, nach etwas ganz Besonderem zu suchen, nur für Mike! Und die Inspiration kam mir auf recht ungewöhnliche Weise. Unser Sohn Kevin, damals zwölf Jahre alt, gehörte zu den Ringern der Nachwuchsmannschaft seiner Schule. Kurz vor Weihnachten fand ein Freundschaftsringkampf gegen ein Team statt, das von einer innerstädtischen Kirche gesponsert wurde. Diese Jugendlichen, großenteils Schwarze, trugen ganz zerlumpte Sportschuhe, die eigentlich nur noch von den Schnürsenkeln zusammengehalten wurden. Damit bildeten sie einen scharfen Kontrast zu unseren Jungs in ihren schicken blau-goldenen Uniformen und den tollen neuen Ringerschuhen. Als der Kampf begann, war ich schockiert, dass das Gastteam ohne Kopfbedeckung, nur mit einem leichten Schutz für die Ohren, kämpfte. Mehr konnte sich dieses ärmliche Team offensichtlich nicht leisten. Nun gut, unsere Mannschaft war dem Gegner haushoch überlegen und gewann in jeder Gewichtsklasse. Als sich ein besiegter Junge nach dem anderen wieder von der Matte erhob, stolzierte ein jeder in seinen Fetzen mit einer inneren Haltung umher, die eine Niederlage nicht zu erkennen gab. Mike, der neben mir saß, schüttelte traurig den Kopf: „Ich wünschte, wenigstens einer von ihnen hätte gewonnen. Es steckt viel Potenzial in den Jungs, aber auf diese Art zu verlieren,
ist vernichtend.“ Mike liebte Kinder, alle Kinder, und erkannte sie, hatte er doch kleine Fußball- und Baseball-Mannschaften trainiert.

In diesem Moment kam mir die Geschenkidee! Noch am selben Nachmittag ging ich in ein nahes Sportgeschäft und kaufte ein Sortiment Ringerschuhe und Helme, die ich anonym an die innerstädtische Kirche sandte. Am Heiligen Abend platzierte ich den ersten weißen Briefumschlag auf dem Christbaum mit einer Notiz, in der ich Mike erklärte, was ich getan hatte und dass dies ein Weihnachtsgeschenk für ihn sei. Das strahlende Lächeln meines Mannes war das Schönste an diesem Weihnachtsfest und auch in den folgenden Jahren.

Jede Weihnacht hielt ich nun an dieser Tradition fest: In einem Jahr ermöglichte ich es einer Gruppe geistig behinderter Jugendlicher, ein Hockeyspiel anzuschauen; ein anderes Jahr sandte ich einen Scheck an ein älteres Geschwisterpaar, dessen Zuhause eine Woche vor Weihnachten bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. So ging es Jahr für Jahr! Der weiße Briefumschlag wurde zum Highlight unserer Weihnacht. Der Umschlag war immer das letzte Geschenk, das geöffnet wurde. Unsere Kinder standen erwartungsvoll, ihre neuen Spielsachen völlig vergessend, mit großen Augen da, wenn ihr Vater den Umschlag vom Baum nahm und dessen Inhalt vorlas. Als die Kinder heranwuchsen, gab es dann eher praktische Geschenke. Aber der weiße Briefumschlag verlor nie seinen Zauber und Anreiz.

1981 verloren wir Mike durch eine Krebserkrankung. Als Weihnachten herannahte, war ich immer noch in tiefer Trauer, so dass ich kaum fähig war, den Christbaum aufzustellen. Aber am Heiligen Abend hängte ich den weißen Briefumschlag doch an den Baum. Und er blieb nicht der einzige: Es gab noch drei weitere! Jedes unserer Kinder hatte, ohne vom anderen zu wissen, ebenfalls ein Kuvert für den Vater zwischen die Zweige gesteckt. Die Tradition ging also weiter und wird sich später auf unsere Enkelkinder ausweiten, die ebenfalls erwartungsvoll dastehen und mit großen Augen schauen werden, wenn ihre Väter den Umschlag vom Christbaum nehmen.

von Nancy W. Gavin, USA, 1982

Die Liebe ist das Ur-Geschenk, sagt der heilige Kirchenvater Thomas von Aquin, und alles, was uns sonst noch unverdient gegeben, also geschenkt werden mag, werde durch die Liebe erst zum Geschenk.

Wir verwenden Cookies auf dieser Website. Wenn Sie fortfahren, gehen wir davon aus, dass Sie dies zulassen.

Spenden

Melden Sie mich für den digitalen Newsletter an

Für ein gutes Datenmanagement benötigen wir diese Daten. Unsere Datenschutzerklärung